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Wann beginnt eine neue Lebensetappe? Mit der ersten Idee an sie? Mit der Planung? Oder mit dem Aufbruch aus der bis dahin bestehenden Alltäglichkeit? Oder doch erst ab dem Augenblick, da es kein (direktes) Zurück in die alte Normalität mehr gibt, z.B. weil man geografisch zu weit entfernt ist?

Für mich begann es irgendwo dazwischen. Bis zum Abflug sah ich für mich kurioser Weise keine Motivation, russisch zu lernen. Eher versuchte ich, so lange wie möglich meinen bisherigen Alltag weiterzuleben. Anfang April hatte ich als Regisseur noch eine Premiere mit einem Ein-Personen-Stück in Freiberg gefeiert und es folgten noch ein paar Aufführungen. Die Reise war noch immer eine so ferne abstrakte Angelegenheit, eher ein Traum, den man bisweilen erträumt und danach wieder aufwacht und weitermacht wie bisher.

Obwohl ich in der Dresdner Altstadt hinter der Kreuzkirche im Reisebüro mein Flugticket buchte und obwohl ich im regelmäßigen Kontakt mit Inna vom Theater stand, blieb dieses Gefühl der Abschottung gegenüber meinem Vorhaben ziemlich stabil. Dann musste der Flug verschoben werden, da die Einladung nicht rechtzeitig fertig wurde. Ohne die Einladung war aber eine Reise gar nicht möglich. Also buchte ich den Flug vom 06.04. auf den 24.04. um, in der Hoffnung, dass alle Papiere bis zum Abflug fertig sein würden. Mittlerweile wurde fest mit mir geplant, so dass ein Scheitern meiner Anreise auch in Almaty erhebliche Folgen gehabt hätte.

Wirklich real wurde die Reise erst mit der Verabschiedung von meiner Freundin. Am 21.04. fuhr ich zu meinen Eltern im Elbtal und am Tag darauf zu meiner Großmutter in Potsdam. Auf der Zugfahrt notierte ich mir damals einige Gedanken, die schwer und trübe waren. Doch wie ich unmittelbar vor der Abreise mich fühlte, was mir durch den Kopf ging, der Abschied von meiner Großmutter, zu der ich ein sehr inniges Verhätlnis pflegte, ist heute, 20 Jahre später, erloschen.

Der Flug

Meine Reiseunterlagen besagen noch heute, dass um 11:35 der Flug TK 1724 von Berlin-Tegel startete. Ob er pünktlich war, weiß ich nicht mehr. Die ca. zweieinhalb Stunden nach Istanbul sind wie nichts verflogen und ich entsinne mich deutlich, wie bei strahlend blauem Himmel das Flugzeug einen Schwenk über das Schwarze Meer nahm und sich dem Atatürk-Flughafen entgegensenkte.

Die Kulisse war atmenberaubend. In Istanbul hatte ich relativ viel Zeit, kaufte mir für 1,1 Million Türkische Lira eine Telefonkarte und rief meine Freundin und meine Eltern an. Immerhin einmal im Leben hatte ich es zu einem Millionär gebracht. Dass meine Anrufe etwa 900.000 Lira verbrauchten verdeutlichte mir natürlich auch direkt, wie ephemer eine Million sind. Gegen halb fünf Ortszeit ging ich an Board und um 17:15 Uhr hob Flug TK 1350 in Istanbul ab.

Diese rieisge Stadt, das endlose Häusermeer, zu dem wir parallel flogen, brannte sich für immer in mein Gedächtnis ein. Wie lange es dauerte, bis das Flugzeug schließlich über das Festland einschwenkte und der Route über die anatolischen Weiten folgte, verlor sich in meinem Interesse für das Abendessen. Die Kabine war nicht voll und ein Schrecken durchfuhr mich, als das Flugzeug plötzlich absackte. Wer auch immer es mir sagte, es schien mir so unwirklich, dass wir mal eben 900 m in ein Luftschlagloch geraten waren. Ich bestellte mir einen Wiskey und schlief irgendwann in der dämmrigen Atmosphäre ein.

Avatar Johannes | Йоханнес

Author: Johannes | Йоханнес

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