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Heute vor 20 Jahren landete ich in Almaty. Es war etwa halb drei Uhr morgens. Die ersten Sekunden, Minuten erinnere ich noch immer sehr genau: ich trat aus dem Flugzeug in die frische Frühlingsluft, ein blauer Schriftzug auf einem Gebäude zu meiner Linken hob sich in der Nacht ab. Am Fuß der Treppe stand eine Person mit einer für mein Empfinden überdimensionalen Tellermütze. Ich schritt hinunter und verschwand im Terminal. Dort erledigte ich meine Passangelegenheiten, holte meinen fast dreißig Kilo schweren Koffer ab, der auf meinem Flug von Berlin Tegel über Istanbul auf einer Seite rollinvalide geworden war. Ich zog das unbequeme Vehikel hinter mir her und ging entlang einer riesigen Baustelle – ein Terminal war einige Wochen oder Monate vorher abgebrannt – zum Ausgang. Eine Traube an Taxifahrern empfing mich und etwas verunsichert stand ich vor diesen auf mich einredenden Personen, ohne dass ich auch nur ein Wort verstand noch dass ich eine Idee hatte, was jetzt als nächstes tun würde. Kasachisches Geld hatte ich noch keines. Da griff eine Hand aus der Menge nach mir, zog mich hindurch als würde ich diffundieren, und dann stand ich vor Viktor! Während wir uns begrüßten, nahm Nikolai meinen Koffer, packte ihn in den Kofferraum der Wolga-Limousine, dann stieg ich hinten in den Wagen, die beiden nahmen vorn Platz und kurz darauf fuhren wir in einem Slalom um Schlaglöcher. Eine Entführungsfahrt hätte so gut funktionieren können, denn es nahm mir jegliches Gefühl für eine Richtung, noch für die Zeit, die es brauchte bis wir an einem Kiosk anhielten, ein paar Bier kauften, dann kurz darauf in der Rosebakjewa-Straße anhielten, die Treppen hinaufstiegen und bald in der Küche einer Wohnung saßen, die in den nächsten Wochen mein erstes zu Hause werden sollte. Nikolai trug tapfer meinen Koffer hoch, draußen hatte der Tag bereits begonnen und gegen sechs Uhr Ortszeit legte ich mich schlafen.

Wie lange ich schlief, weiß ich nicht mehr. Vermutlich am frühen Nachmittag wurde ich wach. Damit begann für mich eine Zeit, die einerseits sehr wichtig, weil prägend wurde, andererseits aber auch mit tiefgreifenden emotionalen Kämpfen verbunden war, denn ich hatte mich aus einem Alltag, einem vertrauten Umfeld herauskatapultiert. In der heftigen Emotionalität verdrängte ich zwar auch, dass ich weder eine konkrete Idee hatte, wie ich den Einstieg in ein Berufs- oder Studiumsleben vollziehen sollte, noch dass sich der Freundeskreis zu verflüchtigen begann, da die Leute in andere Städte gingen und das Gefühl der Vertrautheit verblasste. Meine Beziehung war so gesehen der letzte Anker und mir war klar, dass ich irgendeinen Schritt machen musste, um voranzukommen. Kurioser Weise hatte ich mich für einen Schritt entschieden, der eben diese Beziehung zugleich auf eine ordentliche Bewährungsprobe stellte. Viel mehr aber, wie ich bald merken sollte, vor allem mich. Meinem Tagebuch entnehme ich heute, dass ich schon mit dem ersten Tag in einer Art Sehnsuchtsdelirium war und sagte mir selbst voraus: „Die nächsten Tage werden sehr schwer“.   

Avatar Johannes | Йоханнес

Author: Johannes | Йоханнес

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